von Iuditha Balint

Spätestens zu Beginn der #IchBinHanna-Bewegung wurde einer größeren Öffentlichkeit deutlich, wie prekär es angesichts des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes um die universitäre Forschung bestellt ist. Nach 12 Jahren Forschung (und Lehre) müssen, so der Stand im Oktober 2024, Universitätsangestellte ihre Schreibtische räumen und eine andere Stelle außerhalb der Universität suchen. Dass aber „außerhalb der Universität“ mit „außerhalb der Wissenschaft“ gleichbedeutend sei – das ist ein Irrglaube. Ein Irrglaube ist es, weil es neben den Universitäten eine große Anzahl an Forschungseinrichtungen gibt, von denen viele der an Universitäten Forschenden keine oder nur geringe Kenntnis haben, an denen sie und ihre Expertisen aber gefragt wären.
Einer der Gründe für diese Unkenntnis mag sein, dass die bekanntesten außeruniversitären Forschungsinstitute vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen zugehören, die vornehmlich wirtschafts-, natur-, bio- oder gesellschaftswissenschaftliche Forschung betreiben. Diese Forschungsorganisationen sind die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft, zu denen insgesamt über 250 Institute und Zentren gehören. Dabei forschen einige Leibniz- und Max-Planck-Institute auch zu geisteswissenschaftlichen Fragestellungen.
Ein weiterer Grund dafür, dass Universitätsmitarbeiter:innen kaum von der Existenz geisteswissenschaftlicher außeruniversitärer Forschungseinrichtungen wissen, dürfte auch der Mangel an entsprechenden Informationsveranstaltungen während des Studiums sein: Informationen und Informationsveranstaltungen über universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind äußerst selten Teil des Curriculums.[i] Ob also Studierende oder Promovierende über Optionen aufgeklärt werden, außerhalb der Universität zu forschen, hängt von der subjektiven Einstellung, dem Wissen und den Kapazitäten ihrer jeweiligen Dozent:innen ab.
Dieses Informationsdefizit wird dadurch verstärkt, dass sich außeruniversitäre Forschung aus unterschiedlichen Quellen finanziert: Geldgeber:innen können der Bund sein, die einzelnen Bundesländer, Kommunen, Parteien oder eben Stiftungen. Das hat zur Folge, dass die Zuständigkeiten für ihre öffentliche Sichtbarkeit bei unterschiedlichen Akteur:innen liegen (bei den Ministerien des Bundes, der Länder oder der Kommunen, bei Parteien, den Stiftungen und anderen Trägern) – dass sie also nicht zentral recherchierbar sind.
Dabei heben die Wissenschaftsministerien der Länder auf ihren Homepages gerne Forschungseinrichtungen hervor, die ihren Sitz im jeweiligen Bundesland haben. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg bemerkt zum Beispiel in seinen Informationen zu außeruniversitären Einrichtungen, dass „[k]aum eine Region in Europa […] über eine so große Zahl an Forschungseinrichtungen [verfügt] wie Baden-Württemberg“.[ii] Und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen gibt an, dass „[n]eben 68 Hochschulen […] mehr als 50 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen“[iii] haben. Der Bundesbericht Forschung und Innovation des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung listet zudem 87 Ergebnisse in der Sparte Geisteswissenschaften und Kunst.[iv]
Erste Auskünfte können also genau diese Homepages bieten, wenn Literatur- und Kulturwissenschaftler:innen sich auf eine Recherche zur außeruniversitären Forschungslandschaft begeben. Zu den Institutionen, auf die die Webseiten der Ministerien verweisen, kommen Institutionen hinzu, die (1) An- oder Inter-Institute von (verschiedenen) Universitäten sind, (2) Forschungsinstitute sind, die nicht von den Ländern oder den Bund finanziert werden, oder (3) nicht ausschließlich oder hauptsächlich als Forschungsinstitutionen agieren, sondern unter anderem auch Forschung betreiben: Archive, Bibliotheken, Museen, literarische Zentren und andere vergleichbare Einrichtungen. Diese ausfindig zu machen, ist weitaus arbeitsaufwändiger als die vom Bund oder den Bundesländern finanzierten größeren Institutionen, da sie von Universitäten, Stiftungen, Fördergesellschaften oder einzelnen Kommunen finanziert und entsprechend auch von ihnen beworben werden, im besten Fall also gebündelt auf den Webseiten der Universitäten oder der einzelnen Kommunen gelistet sind.
Die folgende Liste stellt eine Übersicht außeruniversitärer Einrichtungen dar, in denen Literatur- und Kulturwissenschaftler:innen gefragt sind – und zwar meist ohne an das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gebunden zu sein. Einige dieser Einrichtungen sind oder verstehen sich explizit als Forschungseinrichtungen, andere haben eine Forschungsabteilung oder sind wissenschaftlich orientiert. Die meisten sind gemeinnützig, manche stehen bestimmten Parteien oder Interessenvertretungen nahe. Sie sind auch mit Blick auf ihre Größe, ihren Bildungsauftrag und ihre Forschungsschwerpunkte sehr unterschiedlich. Lehre ist an diesen Institutionen in der Regel nicht vorgesehen, charakteristisch ist für sie jedoch zumeist eine enge Verknüpfung von Forschung und Praxis bzw. Vermittlung.
Anspruch auf Vollständigkeit kann diese Liste nicht erheben; auch ist sie nicht nach bestimmten Kriterien wie Größe, Zielsetzung oder finanzielle Ausstattung der Institute geordnet. Vielmehr soll sie eine erste Orientierung und Inspiration auf der Suche nach geeigneten Stellen in der außeruniversitären Forschungslandschaft bieten. Hinweise auf Ergänzungen sind willkommen.
| Akademie der Künste Berlin | https://www.adk.de/index.htm |
| Akademie der Wissenschaften Berlin, Düsseldorf, Mainz, Hamburg etc. | https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/das-wissenschaftssystem/partnerorganisationen/die-akademien-der-wissenschaften/die-akademien-der-wissenschaften_node.html |
| Archiv der Arbeiterjugendbewegung Oer-Erkenschwick | https://arbeiterjugend.de/ |
| Archiv der Deutschen Frauenbewegung Kassel | https://addf-kassel.de/ |
| Archiv für Alternatives Schrifttum Duisburg | https://afas-archiv.de/ |
| Brandenburgisches Literaturbüro Potsdam | https://literaturlandschaft.de/ |
| Bundesministerium für Bildung und Forschung | https://www.bmbf.de/bmbf/de/home/home_node.html |
| Center for Advanced Internet Studies (CAIS) | https://www.cais-research.de/ |
| Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg | https://dai-heidelberg.de/de/ |
| Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt | https://www.deutscheakademie.de/de |
| Deutsches Kabarettarchiv Mainz | https://kabarett.de/ |
| Die Max Weber Stiftung unterhält verschiedene geisteswissenschaftliche Institute:Dt. Forum für Kunstgeschichte ParisDt. Historisches Institut London, Moskau, Paris, Rom, Warschau & WashingtonDt. Institut für Japanstudien TokyoOrient-Institut Beirut & Istanbul | https://www.maxweberstiftung.de/startseite.html https://www.maxweberstiftung.de/forschung.html#content-one |
| Deutsches Literaturarchiv Marbach | https://www.dla-marbach.de/ |
| Einstein Forum Potsdam | https://www.einsteinforum.de/ |
| Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen a. Rh. | https://www.bloch.de/ |
| Faust-MuseumKnittlingen | https://faustmuseum.de/ |
| Fritz-Bauer-InstitutFrankfurt | https://www.fritz-bauer-institut.de/ |
| Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der ArbeitsweltDortmund | https://www.dortmund.de/themen/studium-wissenschaft-und-forschung/fritz-hueser-institut/index-2.html |
| Georg-Eckert-Institut Braunschweig | https://www.gei.de/ |
| Grimmwelt Kassel | https://www.grimmwelt.de/de/ |
| Hans-Fallada-Museum Carwitz | https://fallada.de/museum-start/ |
| Haus für Poesie Berlin | https://www.haus-fuer-poesie.org/de/literaturwerkstatt-berlin/home/ |
| Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf | https://www.duesseldorf.de/heineinstitut |
| Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel | https://www.hab.de/ |
| Institut für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas München | https://www.ikgs.de/ |
| Institut für Deutsche Sprache Mannheim (für Sprachwissenschaftler:innen) | https://www.ids-mannheim.de/ |
| Institut für Zeitungsforschung Dortmund | https://www.dortmund.de/themen/studium-wissenschaft-und-forschung/institut-fuer-zeitungsforschung/index-2.html |
| Institute der Leibniz-Gemeinschaft (sehr viele, nicht alle stellen unabhängig vom #WissZeitVG an), darunter auch Museen. In Museen empfiehlt es sich, bereits während des Studiums Erfahrungen zu sammeln (Praktika, HiWi, freie Mitarbeit). | https://www.leibniz-gemeinschaft.de/institute/leibniz-institute-alle-listen / |
| Klassik Stiftung Weimar | https://www.klassik-stiftung.de/ |
| Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf | https://www.schloss-wiepersdorf.de/de/home-de.html |
| Kulturwissenschaftliches Institut Essen | https://www.kulturwissenschaften.de/ |
| Leopoldina. Nationale Akademie der Wissenschaften, hier v. a. relevant die Klasse IV für Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften Die Leopoldina vergibt auch Stipendien und hat ein eigenes Mentoring-Programm. | https://www.leopoldina.org/leopoldina-home/ https://www.leopoldina.org/foerderung/informationen-fuer-stipendiaten/ https://www.leopoldina.org/foerderung/leopoldina-foerderprogramm/mentoring-programm/ |
| Kirchenarchive (weiterführende Links) | https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Archiven_religi%C3%B6ser_Gemeinschaften |
| Wirtschaftsarchive | https://www.wirtschaftsarchivportal.de/archiv/show-all |
| Literarische Archive | http://www.erlangerliste.de/ressourc/liste.html |
| Literarische Gedenkstätten und Museen | https://alg.de/mitglieder/ |
| Literarisches Colloquium Berlin | https://lcb.de/ |
| Literarisches Zentrum Gießen | https://www.lz-giessen.de/ |
| Literaturhaus Rostock | https://www.literaturhaus-rostock.de/start/ |
| Literaturzentrum Neubrandenburg | https://literaturzentrum-nb.de/ |
| Marburger Literaturforum | https://www.literaturforum-marburg.de/ |
| Monacensia im Hildebrandhaus München | https://www.muenchner-stadtbibliothek.de/monacensia-im-hildebrandhaus |
| Partei- und gewerkschaftsnahen Stiftungen haben i.d.R. auch wissenschaftliche Abteilungen, es lohnt sich, regelmäßig auf ihre Homepages zu schauen. Hier nur ein paar Beispiele. | Homepage – Hans-Böckler-Stiftung (boeckler.de)Friedrich-Ebert-Stiftung (fes.de)Heinrich-Böll-Stiftung (boell.de)Home – Konrad-Adenauer-Stiftung (kas.de)RLS – Rosa-Luxemburg-Stiftung (rosalux.de) |
| STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte Ingolstadt | https://stadtkultur-bayern.de/ |
| Stiftung Brückner-Kühner Kassel | https://brueckner-kuehner.de/ |
| Stiftung Preußischer Kulturbesitz (= dazugehören versch. Forschungsinstit, Archive, Bibl, Museen etc. i. Berlin) | https://www.preussischer-kulturbesitz.de/ |
| Till-Eulenspiegel-Museum Schöppenstedt | https://www.eulenspiegel-museum.de/ |
| Union der Akademien. Die Homepage informiert über und führt zu alle(n) Mitgliedsakademien Kooperationspartner etc.. | https://www.akademienunion.de/ |
| Wissenschaft im Dialog (= Organisation, die auf Initiative des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft entstanden ist) | https://wissenschaft-im-dialog.de/ |
| Universitätsbibliotheken und andere wissenschaftliche Bibliotheken | dbv Wissenschaft und Bibliotheken (bibliotheksverband.de) |
| ZfL (Leibniz-) Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin | https://www.zfl-berlin.org/ |
Dr. Iuditha Balint ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Bevor sie 2018 die Leitung des Fritz-Hüser-Instituts übernommen hat, war sie als Germanistin an der Universität Mannheim, der University of Virginia und der Universität Duisburg-Essen tätig. Sie wurde 2015 an der Universität Mannheim mit einer Studie zur Entgrenzung der Arbeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur promoviert. Gastaufenthalte führten sie unter anderem an die Karls-Universität Prag, die Universität Ljubljana und die Universität Vilnius.
Ihre Forschung bewegt sich an den kulturwissenschaftlichen Grenzen zwischen Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften; ihr Forschungsinteresse gilt der Diskursanalyse und Erzählforschung, den Verflechtungen von Literatur und Ökonomie, und der deutschsprachigen Literatur der Arbeitswelt seit dem 18. Jahrhundert. Ihren Fokus richtet sie dabei auf die Literatur der Weimarer Republik und der Gegenwart, auf Texte von Autorinnen, Schreiben als Arbeit und den Literaturbetrieb mit seinen Funktionsbedingungen. Aktuell arbeitet sie an einer Monographie über den Zusammenhang von Klasse und Fürsprache.
[i] Ausnahmen stellen etwa die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Münster dar. Die Universität Münster bietet in verschiedenen Fächern Berufspraxisseminare an. In der Germanistik entsteht aus diesen Seminaren ein Blog, der auch für künftige Studierende Orientierung bietet: GERMANISTIK IM BERUF – Der Blog zur Berufspraxis
[ii] Außeruniversitäre Forschung: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
[iii] Forschungseinrichtungen | Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen
[iv] BuFI – Liste der Einrichtungen