Warum mein neuer Job mich fand – und nicht umgekehrt
von Dana S. Atzpodien

Ich habe an der Universität Münster im Fach Politikwissenschaft mit einer kumulativen Dissertation zum Thema „Konflikte, Konsens und Koalitionen: Analysen parlamentarischer Debatten zum Parteienwettbewerb auf der gesellschaftspolitischen Wettbewerbsdimension in Deutschland“ promoviert und das Verfahren im März 2023 abgeschlossen. Seit April 2023 arbeite ich dank einer Headhunterin als Evaluations- und Projektmanagerin in einer mittelständischen Innovationsberatung in Hamburg.
Zwischen Unsicherheit und Neuanfang
Doch der Reihe nach: Ich habe mich bereits mehr als zwei Jahre vor Abschluss meiner Promotion gegen eine langfristige Karriere in der Wissenschaft entschieden, obwohl mir alle meine Aufgaben sehr viel Freude und Erfüllung bereitet haben. Die kumulative Promotion sollte zwar meinen „track record“ für eine wissenschaftliche Karriere stärken, aber ich habe mich angesichts der prekären Arbeitsbedingungen und der geringen Chancen auf eine erfolgreiche, selbstbestimmte Karriere bewusst dagegen entschieden.
Etwa ein Jahr vor Abschluss meiner Promotion habe ich dann begonnen, meine Zukunft außerhalb der Wissenschaft zu planen bzw. mir Gedanken darüber zu machen, was ich danach machen möchte. Vor allem aber habe ich damit aufgehört, über die Dissertation hinaus zu publizieren oder Projekte zu initiieren. Stattdessen habe ich mein Hochschullehrezertifikat abgeschlossen und mich mit all meinen Ressourcen auf die „schnelle“, aber natürlich dennoch qualitativ hochwertige Fertigstellung meiner Arbeit konzentriert.
Die Jobsuche gestaltete sich schwierig: Ich fühlte mich methodisch nicht gut genug ausgebildet, um Data Scientist zu werden, hatte keine der häufig nachgefragten Projektmanagement-Zertifizierungen und war nicht ganz davon überzeugt, wieder in der öffentlichen Verwaltung zu arbeiten. Dennoch war eine meiner ersten und niedrigschwelligsten Maßnahmen, die Stellen-Newsletter der Universität Hamburg und der Stadt Hamburg zu abonnieren, um mögliche passende Stellen im Blick zu haben. Hier war ich zumindest mit den Anforderungen und Formulierungen vertraut. Bei Stellenangeboten aus der freien Wirtschaft, die ich über LinkedIn, Xing, Stepstone oder Indeed suchte, fand ich unter Schlagwörtern wie „Projektmanagement“ oder „Data Scientist“ viele Stellen, die aber oft inhaltlich nicht passten. Das war sehr entmutigend. Über die Suche mit Schlagworten zu meinem Studienfach und meinen Fähigkeiten fand ich fast nur Stellen für Jobeinsteiger:innen nach dem Bachelor- oder Masterstudium, die zudem nicht meinen inhaltlichen oder finanziellen Vorstellungen entsprachen. Während bei den Stellen im öffentlichen Dienst das Gehalt und die Zulagen angegeben sind, sieht das bei Jobs in der freien Wirtschaft anders aus, was mich zusätzlich verunsichert hat.
Meine Anfänge auf LinkedIn und Xing
Zusätzlich zur aktiven Stellensuche war ich bereits bei den beiden Business-Netzwerken LinkedIn und Xing registriert. Bei Xing bin ich schon seit 2014 und habe es wenig oder bis dahin nicht strategisch genutzt. Es war ein digitaler Lebenslauf und ein Werkzeug zum „in Kontakt bleiben“ mit ehemaligen Studienkolleg:innen und Schulfreund:innen. LinkedIn nutze ich seit 2018. Das Profil habe ich mir zu Beginn meiner Promotion angelegt, da Xing von meinen immer internationaleren Kontakten immer weniger genutzt wurde und für mich wenig interessante Funktionen bot. Auf LinkedIn vernetzen sich jedoch auch internationale Forscher:innen und die Funktionen, etwa der Feed, in dem man über die Aktivitäten der Kontakte und deren Beiträge informiert wird, sprachen mich an.
Für meine aktive Jobsuche bestand der erste Schritt darin, meine beiden Profile auf Xing und LinkedIn zu aktualisieren und mit möglichst vielen relevanten Informationen zu füllen: Ich lud ein aktuelles und professionelles Profilbild hoch, fügte kurze, aber aussagekräftige Beschreibungen meiner Tätigkeiten in meinen bisherigen Positionen ein und formulierte möglichst umfassende Angaben zu meinen Fähigkeiten, die für Personaler:innen sowohl auf Xing als auch auf LinkedIn unter der Rubrik „Kenntnisse“ einzusehen sind. Dann habe ich auf den Portalen angegeben, dass ich auf Jobsuche und somit offen für Angebote bin. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt sicher, dass mich – wenn überhaupt – jemand auf LinkedIn finden würde, wollte aber mein Xing-Profil mit meinen langjährigen Kontakten nicht löschen und entschied mich daher, auch dieses zu aktualisieren.
Parallel recherchierte ich weiterhin auf Jobbörsen, wie stepstone.de, indeed.com, der Website der Bundesagentur für Arbeit oder dem Arbeitgeberbewertungsprotal kununu.de, nach potenziellen Arbeitgeber:innen in meiner Wunschstadt und schrieb auch einige ausgewählte Bewerbungen, in denen ich mein LinkedIn-Profil als Referenz angab, da ich nicht in jeder Bewerbung alle meine beruflichen Stationen oder Fähigkeiten aufführte.
Doch dann kam alles ganz anders: Überraschenderweise wurde ich nach Abgabe meiner Dissertation, etwa drei Monate vor meiner Verteidigung, von einer Headhunterin über Xing kontaktiert. Sie hatte mich über meine angegebenen Fähigkeiten und Kenntnisse gefunden und war sich nicht ganz sicher, ob ihr Stellenangebot für mich interessant sein könnte. Sie begründete dies damit, dass mein Profil keine Erfahrung als „Evaluations- oder Projektmanagerin“, aber fast alle gesuchten Fähigkeiten und Kenntnisse aufwies. Daher schickte sie mir das Stellenprofil und lud mich zu einem kurzen Telefonat ein. Die angebotene Stelle als Evaluationsmanagerin mit Schwerpunkt empirische Methoden der Sozialforschung passte dann, wie von ihr vermutet, sehr gut zu meinen Fähigkeiten. Ich wundere mich noch heute, dass ich die Stelle nicht selbst auf anderen Portalen gefunden habe. Durch die gute Passgenauigkeit und den sehr netten telefonischen Austausch mit der Headhunterin kam es sehr schnell zu einem Kontakt mit meinem zukünftigen Arbeitgeber und im nächsten Schritt zu einem Gespräch mit direkten Vorgesetzten und Kolleg:innen. Hier schien ich überzeugen zu können und – ebenso wichtig – auch mir gefielen meine Aufgabenbereiche und vor allem das sehr sympathische Team auf Anhieb.
Empirische Sozialforschung als Schlüsselkompetenz in meinem Berufsalltag
In meinem Beruf spielen die während des Studiums erworbenen Kompetenzen eine zentrale Rolle, insbesondere die Methoden der empirischen Sozialforschung. Dazu gehören die Konzeption und Durchführung von Evaluationen sowie die Auswahl passender Erhebungsverfahren. Diese methodischen Kompetenzen ermöglichen es mir, sowohl quantitative Umfragen als auch qualitative Expert:innen-Interviews zu gestalten und auszuwerten. Besonders spannend ist, dass ich dabei mit völlig neuen Themenfeldern arbeite, die ganz anders gelagert sind als die Inhalte meines Studiums: Von der Parteienforschung zu (Digitalisierung in der) Landwirtschaft, Lebensmittel(-verarbeitung) und Nutztierhaltung. Die enge Zusammenarbeit mit Kolleg:innen aus der Biologie, Agrarwissenschaft und Lebensmittelchemie macht meine Arbeit abwechslungsreich und ermöglicht es mir, die Evaluationen in einem für mich (anfangs) fremden Gebiet durchzuführen.
Darüber hinaus greife ich auf Erfahrungen und Fähigkeiten zurück, die meiner wissenschaftlichen Tätigkeit – Promotion, Hochschullehre, Arbeiten in der Verwaltung – an der Universität ähneln. Ich verfasse etwa regelmäßig Berichte, Konzepte und Präsentationen und beantworte schriftlich methodische Fragen zu den Evaluationen. Diese Tätigkeiten erfordern es, Ideen präzise zu formulieren und klar zu kommunizieren, also Fähigkeiten, die ich bereits während meiner Promotion entwickelt habe. Dazu gehört auch, dass ich schnell und präzise Texte schreiben und überarbeiten kann. So oder so erinnert mich die intensive Auseinandersetzung mit Texten, wie etwa mit Förderanträgen, an meine Überarbeitungsphasen von wissenschaftlichen Publikationen mit strikten Zeichenlimits und klaren Strukturen, die unbedingt eingehalten werden müssen – sei es eben, um eine Förderung zu erhalten, einen Bericht so zu schreiben, dass er den Anforderungen der Auftraggeber:innen entspricht oder so, dass ein Paper zur Publikation angenommen wird.
Zusätzlich profitiere ich von den Fähigkeiten, die ich in meiner Lehrtätigkeit und im Rahmen hochschuldidaktischer Fortbildungen erworben habe: Ich kann heute vor vielen Menschen sprechen und habe dabei eine gewisse Ruhe, wenn auch mal etwas schiefgeht. Konkret habe ich aber auch Erfahrungen bei der Planung und Konzeption von Workshops aus der Hochschulzeit mitgenommen, die ich nun bei der Planung von Events anwenden kann. Hier brainstorme ich gemeinsam mit Kolleg:innen Methoden, um unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen oder um spezifische Workshopziele zu erreichen. Übertragbare Fähigkeiten wie konzeptionelles Arbeiten, Selbstorganisation, Teamkommunikation und die Nutzung digitaler Tools spielen dabei in allen Bereichen meiner Arbeit eine große Rolle.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch einige Kenntnisse und Methoden, die ich bisher in meiner beruflichen Praxis kaum anwenden konnte. Dazu gehören sehr spezifische Methoden oder theoretische politikwissenschaftliche Kenntnisse. Trotzdem sind mein Studium und insbesondere die Promotion eine wertvolle Grundlage für meine berufliche Laufbahn. Ich denke, dass mich die Promotion neben vielen technischen, „harten“ Fähigkeiten auch viele „soft skills“ gelehrt hat, die mir sehr helfen: Gelassenheit, Geduld, Stressresistenz, Selbstvertrauen, Problemlösungsorientierung, ein Verständnis für meine Rolle in (hierarchischer) Teamarbeit oder Durchsetzungsvermögen, um nur ein paar zu nennen.
Neue Kompetenzen für neue Herausforderungen
Natürlich musste ich mir auch eine ganze Reihe neue Kompetenzen aneignen. Gut, dass ich das Lernen, auch komplexer Zusammenhänge, schon aus meinem Studium und vor allem aus meiner Promotionszeit kenne.
Ein zentraler Bereich, in dem ich meine Kenntnisse erweitern musste, ist die Evaluation von Projekten und insbesondere von Förderprogrammen. Diese unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den empirischen Erhebungsmethoden, die ich in meiner wissenschaftlichen Arbeit angewendet habe. Evaluationen gehen über das reine Sammeln von Daten hinaus und basieren auf anderen theoretischen Annahmen und Zielen. Daher war es notwendig, dass ich mir viel Wissen selbst aneigne: In den Projekten, die ich evaluiert habe, gab es bereits viel Material und natürlich ist das Internet voll von wissenschaftlichen Ressourcen, Videos und Workshopunterlagen. Neben diesen umfangreichen Recherchen habe ich aber auch viel durch „Learning by Doing“ gelernt. Zum Beispiel musste ich lernen, wie ein Wirkungsmodell in der Evaluation von Förderprogrammen funktioniert. Ein weiterer wichtiger Aspekt meiner Arbeit ist die Durchführung und Auswertung von Expert:inneninterviews. Das hatte ich im Studium zwar theoretisch gelernt, musste es aber nie praktisch umsetzen.
Glück und Eigeninitiative: Warum beides zählt
Durch die gezielte Optimierung meines Xing- und LinkedIn-Profils habe ich meine Sichtbarkeit erhöht, aber dass schließlich eine Headhunterin auf mich aufmerksam wurde und mir eine Position anbot, die genau meinen Fähigkeiten entsprach, konnte ich nicht beeinflussen. Solche direkten Anfragen sind meiner Erfahrung nach für Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen immer noch die Ausnahme, so dass Eigeninitiative und aktives Networking entscheidend bleiben, um passende Karrierechancen zu entdecken. Daher lautet mein Rat an alle, die sich in einer ähnlichen Situation befinden: Frühzeitig mit der Neuorientierung beginnen und die Bedeutung von Sichtbarkeit in Netzwerken nicht unterschätzen. Die in der Wissenschaft so gefragten persönlichen Webseiten sind beim Wechsel in die Wirtschaft weniger wichtig. Pflegt eure Profile auf LinkedIn und auch auf Xing, wenn ihr im deutschsprachigen Raum auf Jobsuche seid. Beschreibt eure Kompetenzen klar und signalisiert Offenheit für neue Möglichkeiten. Macht euch bewusst, dass euer wissenschaftliches Skillset – analytisches Denken, Selbstorganisation und komplexe Problemlösungen – übertragbar und in vielen Bereichen gefragt sind! Viel Erfolg!
Dr. Dana S. Atzpodien ist Politikwissenschaftlerin und seit April 2023 als Evaluations- und Projektmanagerin bei der EurA AG in der Niederlassung Hamburg im Team „Agrifood – Landwirtschaft und Ernährung“ tätig.
Sie studierte an den Universitäten Hamburg und Münster Politikwissenschaft und schloss das Studium im März 2023 mit der Promotion zum Dr. phil. ab. Während ihres Promotionsstudiums an der Universität Münster arbeitete sie sechs Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Policy-Forschung und Methoden der empirischen Sozialforschung. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und Lehre akkreditierte sie zwei internationale Studiengänge mit und koordinierte die Wissenschaftskommunikation im EU Horizon 2020 Projekt „RECONNECT“ für ein halbes Jahr. Zuvor war sie mehrere Jahre u.a. als Tutorin für Statistik an der Universität Münster und als studentische Hilfskraft in der Verwaltung der Universität Hamburg tätig.