
Kurzbiographie:
Nach meiner Promotion in Philosophie war ich fünf Jahre lang an verschiedenen Hochschulen beschäftigt, zumeist auf lehrintensiven Stellen. 2020 zog ich mit meiner Familie ins europäische Ausland und arbeitete 2021 drei Monate lang als Marktanalyst. Seitdem bin ich wieder an einer deutschen Hochschule in einem Forschungsprojekt beschäftigt.
Was macht ein:e Marktanalyst:in?
Welche Technologien wird die deutsche Industrie in den nächsten zehn Jahren im Rahmen der Energiewende einsetzen? Solche und ähnliche Fragen versuchen Marktanalyst:innen zu beantworten. Es geht darum, auf der Grundlage verschiedener Daten abzuschätzen, was in der Zukunft passieren könnte. Von dem Ergebnis solcher Analysen hängen teilweise bedeutende Investitionsentscheidungen ab.
Wie hast Du den Weg zu dieser Tätigkeit gefunden?
Als Geisteswissenschaftler:in mit Berufserfahrung hauptsächlich in der universitären Lehre hätte ich mich nicht für diese Tätigkeit geeignet gehalten. Doch dies erwies sich als falsch. Eher zufällig wurde ich in einem solchen Projekt beschäftigt und stellte fest, dass ich recht gut auf die Arbeit vorbereitet war und sie interessant und sinnvoll fand. Zwar erhielt ich nach einigen Monaten doch wieder eine attraktive Stelle an einer Hochschule. Trotzdem waren die Erfahrungen dieses Ausflugs in die freie Wirtschaft wertvoll.
Wie sah Dein Berufsalltag aus? Welche Aufgaben hattest Du?
In dem Projekt, in dem ich bei einer kleinen Firma beschäftigt war, ging es um eine spezielle Technik, die im Rahmen der Energiewende zunehmend eingesetzt wird. Unser Team sollte die Nachfrage nach dieser Technik in Europa und den USA in den kommenden zehn Jahren abschätzen. Ich war für die deutschsprachigen Länder zuständig und hatte im Wesentlichen zwei Aufgaben: erstens die Recherche von für das Projekt relevanten Daten aus frei verfügbaren Quellen; zweitens das Führen von Interviews mit Expertinnen und Experten für die Entwicklung in bestimmten Branchen.
Welche Fähigkeiten Deiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Philosoph:in erwiesen sich als nützlich?
Die Datenrecherche stellte keine besondere Schwierigkeit dar. Auf den Webseiten von Behörden, Verbänden und Think Tanks fand ich reichlich einschlägiges Material, aus denen ich die relevanten Informationen herausfilterte. Wer im Studium Quellen für sozialwissenschaftliche Hausarbeiten erkundet hat, ist gut auf diese Aufgabe vorbereitet. Freilich muss man bereit sein, weniger genau und akribisch vorzugehen als in der Wissenschaft. Im Vordergrund steht die Fähigkeit, große Datenmengen zu überfliegen und daraus ein ungefähres Bild zu den gesuchten Sachverhalten zu konstruieren. Wenn ich eine relevante Datentabelle oder ein Diagramm gefunden hatte, hielt ich die wichtigsten Aussagen, die man aus den Daten ablesen konnte, in wenigen Stichpunkten fest. Mir selbst erschien diese Interpretation als eine Sache des gesunden Menschenverstands; vermutlich hat mir aber meine wissenschaftliche Erfahrung dabei geholfen, diese Urteile selbstsicher zu vertreten.
Ähnlich verhielt es sich mit den Interviews: Auch hier verschaffte mir der wissenschaftliche Hintergrund eine gewisse Selbstsicherheit, die nötig ist, um mit Fachleuten auf Augenhöhe zu kommunizieren. Schließlich musste ich sinnvolle Gespräche über verschiedene technische Fachgebiete führen und dafür zumindest ein rudimentäres Verständnis dieser Gebiete erwerben. Auch hierbei kam es mehr auf allgemeine Auffassungsgabe an als auf die Anwendung einer speziellen Methode, aber ein wissenschaftlicher Hintergrund war sicher hilfreich.
Aus den gesammelten Informationen ergab sich mit der Zeit ein immer klareres Bild davon, in welchen Bereichen die untersuchte Technik in den nächsten Jahren verstärkt angewandt werden konnte. Für mich hatte dieses Erfolgserlebnis Ähnlichkeit damit, eine Lösung für ein wissenschaftliches Problem gefunden zu haben.
Wie bist Du zu der Tätigkeit als Marktanalyst:in gekommen?
In meinem Fall spielten Zufälle eine Rolle, aber daneben auch Erfahrungen, die sich auf andere Situationen übertragen lassen. Meine Ausgangslage war nicht gerade günstig: Zu Beginn der Corona-Pandemie war ich aus familiären Gründen ins europäische Ausland umgezogen. Meine Berufserfahrung bestand im Wesentlichen aus lehrintensiven Beschäftigungen an der Universität. Auch im Ausland besteht nicht gerade ein Mangel an Beschäftigten aus den Geisteswissenschaften, zumal wenn diese eine fremde Muttersprache haben, so dass sich die Jobsuche schwierig gestaltete.
Hilfreiche Erfahrungen machte ich in einem Verein, in dem ehemalige Führungskräfte Arbeitssuchende unterstützen. Wie alle Mitglieder durchlief ich ein Programm, mit dem die individuellen Stärken bestimmt und gezielt Ratschläge gegeben werden. Mit mehreren Gesprächspartner:innen sprach ich ausführlich über meinen beruflichen und außerberuflichen Werdegang, woraus sich interessante Erkenntnisse ergaben.
Allen Arbeitssuchenden würde ich raten, sich in dieser oder ähnlicher Weise damit zu beschäftigen, was man bereits für Erfahrungen mitbringt. Ein weiterer wichtiger Punkt, der sich aus vielen Gesprächen ergab: Effektives Netzwerken bedeutet nicht, möglichst viele Kontakte zu knüpfen, sondern zielgerichtet auf ausgewählte Personen zuzugehen, die Auskunft über ein bestimmtes Arbeitsumfeld geben können.
Auf die Beschäftigung als Marktanalyst:in wurde ich allerdings durch einen Zufall in meinem Umfeld aufmerksam. Hilfreich war in diesem Fall, dass in einem multinationalen Team eine deutschsprachige Person gesucht wurde, um die Lage in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu untersuchen. Der Projektleiter hatte zudem gute Erfahrungen damit gemacht, Personen mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund in die Tätigkeit einzuarbeiten. Er suchte daher nicht unbedingt nach Personen mit speziellen Vorkenntnissen.
Was ist Dein Rat für Menschen auf einem ähnlichen Weg?
Aus meiner kurzen, aber aufschlussreichen Tätigkeit würde ich folgende Empfehlungen für die außerakademische Arbeitssuche ableiten:
- Es ist wichtig, eine Tätigkeit zu suchen, die man selbst als sinnvoll ansieht – besonders für Personen mit geistes-/sozialwissenschaftlichem Hintergrund, die häufig stark durch die eigenen Überzeugungen motiviert sind. In meinem Fall hätte ich die Arbeit sicher nicht machen wollen, wenn es um die Marktanalyse für ein beliebiges Konsumprodukt gegangen wäre. Erst wenn man sich mit den Zielen der eigenen Tätigkeit identifiziert, kann man sich ernsthaft darauf einlassen.
- Die „Soft Skills“, die wir aus den Geistes- und Sozialwissenschaften mitbringen, sind kein leeres Gerede, sondern werden tatsächlich geschätzt. Quellen auswerten, Informationen konzise und verständlich zusammenfassen, kritische Rückfragen stellen – all dies ist nicht selbstverständlich; entsprechend sollte man diese Fähigkeiten bewusst pflegen. Hüten sollte man sich allerdings davor, Probleme als zu komplex aufzufassen oder in den Jargon einer speziellen Theoriesprache zu verfallen.
- Es ist sinnvoll, die eigenen Fähigkeiten in Gesprächen mit mehreren Personen ausführlich zu analysieren. Daraus ergeben sich vermutlich neue Optionen für die Arbeitssuche.