
Jana Gerlach ist promovierte Soziologin und war während und nach der Promotion insgesamt acht Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin beschäftigt. Nach einem bewussten Ausstieg aus der universitären Laufbahn arbeitete sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Referentin in einer Forschungsorganisation und war kurzzeitig für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung tätig. Heute ist sie in anderer Funktion zurück an der Universität und bildet dort Dozent:innen im Bereich gender- und diversitätssensible Lehre weiter. Studiert hat sie Nordamerikastudien, Politikwissenschaft und Soziologie.
Mit welchen Zielen und Visionen hast Du Deinen wissenschaftlichen Werdegang verfolgt?
Die Idee zu einer möglichen wissenschaftlichen Laufbahn war während meines Auslandsstudienjahrs in den USA gereift: Als Masterstudierende diskutierten wir mit den Lehrenden auf Augenhöhe, publizierten teilweise bereits zusammen und der wissenschaftliche Diskurs erschien als gemeinsames großes Projekt, zu dem alle etwas beizutragen hatten. Hier hatte ich zum ersten Mal das Gefühl als wissenschaftliche Gesprächspartnerin ernst genommen und wertgeschätzt zu werden.
Dass ich relativ nahtlos nach dem Studium mit einer Promotionsstelle an der Uni begonnen habe, hatte aber auch ganz praktische Gründe: Wir gehörten zur „Generation Praktikum“. Viele meiner ehemaligen Kommilitoninnen übernahmen nach dem Abschluss erstmal unterbezahlte Praktika – nicht selten mehrere hintereinander. Ich fand diese Aussicht wenig attraktiv und wollte mir daher lieber noch mehr inhaltliche Expertise durch eine Promotion aneignen. Meine Vision war somit keineswegs auf den wissenschaftlichen Werdegang begrenzt. Als angehende Promovierende der Soziologie ging es mir eher darum, gesellschaftliche Prozesse, zum Beispiel der sozialen Polarisierung, Reproduktion von Ungleichheiten tiefgreifender zu verstehen. Letztlich mit der Motivation, diese zum Guten mitgestalten zu können – ob als Wissenschaftlerin oder aus anderer Position heraus, war eher zweitrangig.
Wie hast Du die Zeit als Nachwuchswissenschaftlerin erlebt?
Rückblickend – mit einigen Jahren Berufserfahrung „außerhalb“ im Rücken – sehe ich diese Zeit als positive Erfahrung, denn hier hatte ich einen hohen Grad an Autonomie und Selbstverantwortung. Ich konnte nicht nur meine Arbeitszeit fast vollständig selbst einteilen, sondern hatte auch sehr große Freiheit in der Wahl meines Forschungsthemas sowie der Schwerpunktsetzung und Gestaltung meiner Lehre. Zum Zeitpunkt meines Einstiegs war ich mit dieser Freiheit aber auch sehr überfordert und hätte mir mehr Orientierung und Unterstützung gewünscht.
Zweierlei Erfahrungen waren besonders ernüchternd:
Als Person, die sich in Forschung und Lehre mit Aspekten sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzte, irritierte mich erstens die Diskrepanz zwischen inhaltlichem Anspruch, gesellschaftliche Machtverhältnisse wissenschaftlich zu untersuchen, und dem Arbeitsalltag. Im Institutsalltag wurden nämlich Machtasymmetrien beispielsweise durch fehlende Anerkennung offen ausgelebt. Verglich ich mich mit jenen ehemaligen Kommilitoninnen, die zwar mit einem Praktikum begonnen hatten, sich nun aber beruflich mehr und mehr etablierten, so ließ mich das Gefühl nicht los, nicht nur sehr viel mehr als sie zu arbeiten und dabei (bei einer halben Promotionsstelle) weit weniger zu verdienen – sondern auch kaum Wirksamkeit und Wertschätzung zu erleben, stattdessen als Nicht-Promovierte noch nicht wirklich „dazuzugehören“. Statt meiner ursprünglichen Motivation nachzukommen, gesellschaftliche Strukturen von Ungleichheit zu verstehen und zu verändern, hatte ich nach einiger Zeit das Gefühl, selbst in einem System von Ungleichheit gefangen und von der „wirklichen Welt“ abgeschnitten zu sein.
Der zweite Punkt war die (damalige) Geringschätzung für gute Lehre, die mir selbst aber nicht nur großen Spaß machte, sondern die ich auch als wichtigste Aufgabe meiner Stelle betrachtete. Ich investierte dafür viel Zeit, bekam aber gleichzeitig vermittelt, dass ich nicht vorankäme, weil ich die „eigentliche“ Arbeit – die Forschung – gegenüber der Lehre vernachlässige.
Zusätzlich kam hinzu, dass ich während meiner Promotion meine zwei Kinder bekommen habe und meine Lebensrealität sich immer weiter von dem Bild der Wissenschaftlerin, die jede freie Minute in die potentielle (und zugleich unsichere) wissenschaftliche Karriere investiert, entfernte.
Welche Schritte hast Du unternommen, um in Dein jetziges Berufsfeld einzutreten? Welche Kompetenzen und welches Wissen haben Dir dabei geholfen?
Motor für Veränderung war letztlich meine Unzufriedenheit. Um aus dem Gefühl fehlender Selbstwirksamkeit herauszukommen, hatte ich mich nebenher in Hochschuldidaktik weitergebildet und diese nebenberuflich in Workshops selbst weitervermittelt, eine Graduiertenschule mit aufgebaut und viel Energie in die Beratung von Studierenden gesteckt – mich also Stück für Stück bereits vom wissenschaftlichen Kerngeschäft entfernt. Tatsächlich habe ich dann ein Jahr nach Abschluss der Promotion beschlossen, keine weitere Vertragsverlängerung anzunehmen, obwohl ich noch keinen neuen Job in Aussicht hatte.
Die Stellensuche außerhalb der Universität war dann viel leichter, als ich mir vorgestellt hatte. Plötzlich waren all die zusätzlichen Aufgaben, die ich während meiner Promotionsphase übernommen hatte ebenso wie private Ehrenämter wichtige Erfahrungen, die mit ins Gewicht fielen. Mir wurde in Bewerbungsverfahren aber auch klar, wie gefragt und vielfältig die Kenntnisse und Fähigkeiten sind, die ich aus meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovierende mitbringe – von der inhaltlichen Expertise, den Methodenkenntnissen über Gremien- und Moderationserfahrung bis hin zur Fähigkeit, sich selbstständig und strukturiert in neue Themenfelder einzuarbeiten.
Wie sieht Dein Beruf heute aus? Wie kannst Du diesen Beruf mit Deinen Erfahrungen und Deiner Persönlichkeit ausfüllen?
Mittlerweile bin ich an die Universität zurückgekehrt, aber in einer völlig anderen Funktion: Ich befinde mich nicht mehr innerhalb des wissenschaftlichen Wettbewerbs, sondern berate Dozierende im Bereich gender- und diversitätsbewusste Lehre. Ich betreue eine Webseite, samt eigenem Blog und Newsletter, gebe Workshops und kooperiere mit unterschiedlichen Stellen, um das Thema in der akademischen Lehre – und über das Lehramtsstudium langfristig auch in der Schule – strukturell zu verankern.
Dabei kommen mir sowohl mein akademischer Hintergrund – die Lehrerfahrung, die Kenntnisse der Gender- und Diversitätsforschung, interdisziplinäres Denken – als auch die Lust an Vernetzung und Organisation zugute. Letztlich merke ich, dass mich die vielen Jahre an der Universität durchaus geprägt haben: Ich schätze es sehr, dass eigene Ideen gefragt sind und ich viel gestalten kann. Durch meine anderen beruflichen Stationen weiß ich, dass dies durchaus ganz anders sein kann.
Was würdest du jemandem raten, der einen ähnlichen beruflichen Weg gehen möchte?
Als ersten Punkt möchte ich gerne mitgeben, dass die Arbeit an der Promotion und die Lehrerfahrungen, die Promovierende oder Postdocs ggf. nebenher gesammelt haben, unglaublich anspruchsvolle Tätigkeiten sind. Es gibt keinerlei Grund, sich in irgendeiner Weise unterlegen zu fühlen, weil die Arbeitserfahrungen bislang „nur“ an der Uni waren. Auch die inhaltliche Expertise kann eine wichtige Ressource sein bzw. ein Alleinstellungsmerkmal bei der Jobsuche außerhalb des akademischen Systems sein.
Zweitens würde ich dazu raten, sich immer wieder einmal zu fragen, welche Art der Tätigkeit einem liegt – sich tief in ein Thema einzufuchsen, der direkte Kontakt zu Menschen, komplexen Zusammenhängen Struktur zu geben oder eher das Organisieren und den Überblick zu behalten? Fühlt es sich besser an, Entscheidungen alleine zu fällen oder Aufgaben und Verantwortung im Team zu teilen? Und ganz wichtig: Wie wichtig ist mir überhaupt berufliche Verwirklichung und wieviel Zeit möchte ich anderen Interessen und Bedürfnissen in meinem Leben einräumen?
Drittens: Der erste Job nach dem Wechsel muss noch nicht der Richtige sein, ist aber eine tolle Möglichkeit, sich in anderer beruflicher Umgebung auszuprobieren und sich für zukünftige Entscheidungen noch besser kennenzulernen.