Forschung jenseits der Uni – mit einem Start-Up und einem Verein für Informationswissenschaft

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Dr. Violeta Trkulja forscht und arbeitet als Informationswissenschaftlerin und Vorständin bei der gemeinnützigen Organisation, Grenzenlos Digital e. V., die sie gemeinsam mit Juliane Stiller und anderen aufgebaut hat. Daneben berät sie im Rahmen des Unternehmens You, We & Digital Organisationen und Forschungseinrichtungen und führt Studien zur Digitalisierung durch. Sie hat Ältere Germanistik und Informationswissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf studiert und wurde dort im Fach Informationswissenschaft promoviert.

Dr. Juliane Stiller ist Vorstandsvorsitzende im Verein Grenzenlos Digital e. V., mit dem sie digitale Kompetenzen in der Gesellschaft fördern und informationswissenschaftliche Forschung in die Praxis bringen wollen. Außerdem hat sie sich mit Violeta zu einer GbR You, We & Digital zusammengeschlossen. Sie hat Wissenschaftsgeschichte an der TU Berlin und Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und promovierte dort im Fach Informationswissenschaft.

Wie sieht Euer Berufsalltag in der Selbstständigkeit aus?

JS: Mein Alltag spielt sich hauptsächlich vor dem Computer und im Homeoffice ab. Wir haben zwar ein Büro, sind dort aber eher selten. Mein Alltag besteht aus vielen Gesprächen mit Violeta, um unsere gemeinsamen Projekte voranzubringen. Im Rahmen des Vereins sind dies beispielsweise Forschungsprojekte – ganz aktuell zum Thema Desinformation im Gesundheitsbereich, aber auch die Konzipierung und Entwicklung von Weiterbildungen und Workshops zur Verbesserung von digitalen Kompetenzen für unterschiedliche Zielgruppen. Mit der GbR führen wir wissenschaftliche Dienstleistungen im Bereich Digitalisierung, Datenverwaltung, Informationssysteme und Zugänge zur Information durch. Für mich ist das eine schöne Mischung aus inhaltlicher Arbeit, Projektanbahnung und dem Aufbau einer Organisation, die dem Gemeinwohl gewidmet ist. Gerade die Vereinsarbeit ist von viel Organisation und Administration geprägt und fordert mich immer wieder heraus.

VT: Mein Berufsalltag ist eigentlich kein Alltag. Jeder Tag ist anders und oft geschehen Dinge auch spontan. Ich muss flexibel sein und mich spontan auf Gegebenheiten einstellen können. Aber im Grunde könnte man sagen, dass mein Tag geprägt ist von vielen verschiedenen Tätigkeiten: Es gibt sowohl die inhaltlichen Tätigkeiten zu den Projekten, in denen ich arbeite. Hier führe ich Studien durch, schreibe Forschungsberichte, bespreche Projekte mit Menschen, mit denen ich zusammenarbeite und entwickle neue Ideen für Projekte. Daneben bin auch zuständig für das laufende Geschäft. Das bedeutet, ich erledige administrative Aufgaben, wie Buchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnungen etc.

Was macht Euch am meisten Spaß an Eurer Arbeit?

JS: Ich liebe die Gestaltungsmöglichkeiten, die ich habe und dass ich mir meine Zeit und Energie frei einteilen kann und auf die Projekte und Aufgaben konzentrieren kann, die mir am Herzen liegen. Ich finde es auch sehr bereichernd in einem Verein tätig zu sein, in dem viele Menschen zusammenkommen, die gesellschaftliche Veränderungen voranbringen möchten.

VT: Ich kann mir die Projekte nach meinen Interessensgebieten aussuchen und meinen Arbeitsalltag frei gestalten.

Was macht weniger Spaß?

Beide: Administrative und bürokratische Vorgänge. Ein gemeinnütziger Verein muss viele Regeln und Gesetze beachten und das Vereinsrecht ist stark reguliert. Es erinnert uns manchmal auch an die von vielen Regeln geprägte Gremienarbeit an Universitäten.

Welche Fähigkeiten, die Ihr im Studium oder in der Promotion erworben habt, helfen Euch im Arbeitsalltag?

VT: Im Studium und besonders in der Promotion erwirbt man die Fähigkeit, sich neue Themen zu erarbeiten, diese zu erforschen und zu neuen Forschungserkenntnissen zu erlangen. Mit einer Doktorarbeit lernt man allgemein sehr selbständig zu arbeiten.

JS: Die Informationswissenschaft ist mit ihren Fragestellungen am “Zahn der Zeit”. Vieles, was ich in meiner wissenschaftlichen Laufbahn erforscht habe, ist sehr relevant: Evaluation von Informationssystemen, Nutzerinteraktionen mit Informationssystemen, Datenqualität und Informationskompetenz, Umgang mit Desinformationen.

Welche Fähigkeiten musstet Ihr Euch anders aneignen und wo/wie habt Ihr sie gelernt?

JS: Wir sind als Wissenschaftler:innen oft sehr problemfokussiert und stellen die Analyse des Problems oft in den Vordergrund. Ich musste erst lernen, die Lösung in den Vordergrund zu stellen, und dass es manchmal besser ist, schnelle Entscheidungen zu treffen, um voranzukommen und nicht zu lange, Lösungswege gegeneinander abzuwägen.

VT: Entscheidungen schnell und autonom zu treffen, ist eine wichtige Fähigkeit und diese musste ich in der Selbständigkeit weiter optimieren. Zum Glück habe ich mit Juliane eine Geschäftspartnerin, mit der ich gemeinsam Entscheidungen treffen kann. Oft diskutieren wir auch lange, aber das ist ein ständiger Lernprozess, denn wir müssen immer wieder neue Entscheidungen treffen.

Der Wendepunkt:

Wie habt Ihr den Weg zu Eurem jetzigen Beruf gefunden?

JS: Ich stand vor der Option, mich auf eine weitere Post-Doc-Stelle in einem Drittmittelprojekt zu bewerben, die aufgrund des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes meine letzte gewesen wäre. Meine ganze wissenschaftliche Karriere habe ich auf Drittmittelstellen verbracht – auch schon während der Promotion. Für mich war klar, dass ich mich nicht weiter im Wissenschaftsbetrieb aufreiben wollte. Ich hatte auch den Eindruck, dass eine Professorinnenstelle eher mit vielen Einschränkungen kommt statt mit mehr Freiheiten. So wuchs in mir der Wunsch, sich selbstständig zu machen. In den letzten Jahren meiner Arbeit an der Uni wurde das Thema Informationskompetenz immer relevanter für mich und ich habe gesehen, welch großer Bedarf an zielgerichteter Weiterbildung in der Gesellschaft nötig ist, um den “Digital Skill Gap” nicht noch größer zu machen. Zu diesem Thema hatte Violeta schon in ihrer Doktorarbeit geforscht, und 2018 haben wir eine gemeinsame Studie zu Digitalkompetenzen von Geflüchteten veröffentlicht.

Inspiriert von einem Ausgründungsprogramm für Wissenschaftlerinnen an meiner Universität, das Marga-Faulstich-Programm der HU Berlin habe ich mich mit Violeta zusammen verstärkt mit der Idee auseinandergesetzt, wie wir unsere Fähigkeiten und Expertise außerhalb der Universität anbringen können.

VT: Im Grunde hat sich mein Beruf nicht geändert. Er ist in seinen Tätigkeiten dem Vorhergehenden sehr ähnlich. Wie auch bei Juliane war ich in meiner gesamten Zeit an deutschen Hochschulen auf Drittmittelstellen beschäftigt. Die Tatsache aber, dass man an der Uni selbständig arbeitet und für die Projekte und deren Umsetzung verantwortlich ist, war eine gute Voraussetzung für den Schritt in die Selbständigkeit. Diesen Schritt habe ich dann gemeinsam mit Juliane gewagt, denn auch ich war vom WissZG betroffen und konnte nicht länger an der Uni bleiben. Im Grunde wurde ich durch das Gesetz gezwungen über einen neuen Weg nachzudenken, was sich im Rückblick als Glücksfall erweist.

Welche ersten Schritte habt Ihr unternommen, um den Wechsel von der Uni zu schaffen?

Beide: Nach dem Auslaufen unserer Verträge haben wir zunächst Arbeitslosengeld und später dann den Gründungszuschuss der Arbeitsagentur bezogen. Dies hat uns finanzielle Sicherheit gegeben, um die Selbstständigkeit auf die Beine zu stellen. Violeta und ich haben uns dann auf ein Coachingprogramm für Gründer :innen in Berlin beworben und haben jede 30 Coachingstunden erhalten. Dieser Austausch und die Hilfestellungen, die wir darüber bekommen haben, waren wertvoll und haben uns einen ganzen Schritt weitergebracht. Wir haben uns erst beide freiberuflich selbstständig gemacht und dann später die GbR und, nach Findung mit den anderen Gründungsmitgliedern, den Verein gegründet.

Welche Kontakte oder Erfahrungen haben Euch dabei geholfen?

VT: Der Wunsch nach Veränderung erwuchs gemeinsam mit Juliane, und unsere Gründungsidee ist aus unserer gemeinsamen ehrenamtlichen Arbeit entstanden, von daher ist sie mein wichtigster Kontakt. In den bereits erwähnten Gründerinnen-Programmen habe ich viel Unterstützung erhalten und wurde in meinem Wunsch nach der Selbständigkeit gestärkt und gefördert.

JS: Das eigene Netzwerk ist häufig größer und relevanter als man denkt und viele Menschen freuen sich, wenn sie weiterhelfen können. In der Zeit nach dem Entschluss, sich selbstständig zu machen, habe ich mit vielen Leuten, die ich so traf, darüber gesprochen: Wie ist es als Freiberuflerin? Wo bekomme ich Aufträge her? usw.

Welche Hindernisse gab es dabei?

JS: Rückblickend waren eigentlich die meisten Hindernisse eher in meinem Kopf und in meiner beschränkten Vorstellung, dass Forschung nur an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen möglich ist. Außerdem hatten Violeta und ich auch immer gedacht, man muss erst ein super Produkt kreieren und einen festen Stamm an Klient :innen haben, bevor man den Sprung wagen kann. Rückblickend kann ich nur empfehlen, all diese Vorstellungen und Glaubenssätze über Selbstständigkeit und das (Arbeits)leben außerhalb der Uni zu hinterfragen.

VT: In Deutschland bekommt man als Gründerin zu viele Steine in den Weg gelegt. Die bürokratischen Hindernisse (Finanzamt, Arbeitsagentur) sind groß und bringen einen manchmal an den Rand der Verzweiflung. Oft habe ich gedacht, dass ich es nicht schaffen werde.

Euer Rat für andere auf einem ähnlichen Weg:

Was würdet Ihr jemandem raten, der einen ähnlichen beruflichen Weg gehen möchte?

JS: Der schwerste Schritt ist der erste. Wenn man den aber gemacht hat, fügt sich alles andere. Suche Dir positive Vorbilder oder Menschen in ähnlichen Situationen zum Austausch.

VT: Such dir Gleichgesinnte und umgib dich mit Menschen, die dich darin bestärken, das zu tun, was dir Freude bereitet und worin du gut bist. Außerdem ist es auf jeden Fall hilfreich, eine gewisse Gelassenheit mitzubringen, auch wenn es mal turbulent wird.

Wie hat sich Eure Sicht auf die Arbeitswelt/das Arbeiten verändert?

VT: Ich arbeite für mich und für das, woran ich glaube. Das ist ein gutes Gefühl, macht Freude und fühlt sich nicht als Pflicht an.

JS: Lange Arbeitszeiten sind aus meiner Sicht überholt und sollten generell eher kürzer sein. Man füllt die Arbeitszeit, die man füllen muss. Die Energie, die aus einer Arbeit kommt, an die man glaubt und die man für wichtig hält, ist immens.

Was ist Euer nächstes Ziel, das Ihr erreichen möchtet?

Beide: Die Professionalisierung unserer Vereinsstrukturen und die bessere Gestaltung unserer Abläufe dort. Ein Beispiel hier ist die Buchhaltung, die man in den ersten Jahren einfach halten kann, die einem aber schnell über den Kopf wächst, wenn man mehrere Projekte hat.

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