Vernetzung jenseits der Uni – Der Bundesverband für Ethnolog*innen e.V.

Berufsverbände können als wertvolle Kontaktbörsen und bei der Orientierung in Berufsfeldern in- und außerhalb der Universitäten dienen. Diesem Ziel widmet sich beispielsweise der Bundesverband für Ethnolog*innen e. V. Er wurde 2012 gegründet und vertrat zunächst die Interessen derjenigen, die das Fach (Ethnologie, Sozial- und Kulturanthropologie/Kultur- und Sozialanthropologie) studiert haben und freiberuflich in der ethnologischen Praxis tätig waren. 2020 wurde das Profil des Verbands dahingehend erweitert, dass nun alle diejenigen, die einer ethnologischen Epistemologie verbunden denken – unabhängig von ihrer Tätigkeit – Mitglied im Verband werden können. Der Verein dient u. a. der Vernetzung und Sichtbarkeit, indem er z. B. Vortragsreihen seiner Mitglieder zu Themen aus ihrer ethnologischen Praxis anbietet.  

Ich habe mit einer der Gründer:innen, Dr. Anette Rein gesprochen.  

Woher kam die Initiative zur Gründung und welche Ziele verfolgt der Berufsverband für Ethnolog*innen e. V.? 

Dr. Kerstin Volker-Saad überzeugte mich 2010 von der Idee, einen Verband für freiberufliche Ethnolog:innen zu gründen. Wir beide waren schon einige Jahre freiberuflich tätig und wussten aus eigner Erfahrung, dass Ethnolog:innen in der außeruniversitären Praxis keine Vertretung oder eine Plattform zum Austausch hatten. Wir haben in den ersten Gesprächen zunächst festgestellt, dass Ethnolog:innen in ihrer Freiberuflichkeit oder auch auf zeitlich befristeten Stellen oft in einer eher prekären Situation sind. Ethnologische Kompetenzen, wie eine grundsätzliche Perspektivenvielfalt, sind in der Öffentlichkeit noch nicht allzu bekannt und wir beobachteten, dass wichtige Führungspositionen auch im Humboldt Forum, oft nicht mit Ethnolog:innen besetzt wurden. Wir wollten mit dem Verband Sichtbarkeit und Aufwertung der Kompetenzen von Ethnolog:innen durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit erreichen.  

Mit der Streichung des Wortes „freiberuflich“ und dem neuen Namen: „Bundesverband für Ethnolog*innen“ beschlossen wir Ende 2020, den Verband auch für alle diejenigen zu öffnen, die eine ethnologische Signatur haben und sich dem Fach zugehörig fühlen. Wie wir in den letzten 10 Jahren feststellen konnten, wechseln ethnologische Berufsbiografien häufig zwischen unterschiedlichen „Aggregatszuständen“, zwischen prekärer Akademiebeschäftigung, freiberuflicher Tätigkeit und nicht ethnologisch genannter Angestelltentätigkeit.  

Von Beginn an war für uns von zentraler Bedeutung, Ansprechpartner:innen für Kolleg:innen und zugleich ihre Interessensvertretung zu sein. Es geht dabei um Vernetzung, gegenseitige kollegiale Beratung und Austausch sowie Fortbildungsmöglichkeiten für Mitglieder anzubieten. 

Was bietet der Verein seinen Mitgliedern? 

Ein Hauptproblem von Kulturwissenschaftler:innen ist – verbunden mit einem Arbeitsplatzwechsel, dass sie regelmäßig von den Websites der Institute verschwinden. Deshalb bietet der Verband allen, die sich in dem aufeinanderfolgenden Reigen befristeter Stellen befinden, eine digitale Heimat: die Webvisitenkarte. Diese kann individuell mit dem eigenen Profil, Projekten, Publikationen und Zielen gestaltet werden. Im Mitgliedsbeitrag von 100 bzw. 60 € im Jahr ist die Pflege der bfe-Website enthalten. Darüber hinaus bietet der Verband den Mitgliedern freie Eintritte in über 40 Museen und organisiert Vortragsreihen, in denen Mitglieder aus ihrer ethnologischen Praxis berichten, sowie regelmäßig Workshops zur Fortbildung. 

Was sind die „klassischen“ Tätigkeitsfelder von Ethnolog:innen?  

Als klassische Tätigkeitsfelder von Ethnolog:innen können Universität, Museen mit ethnografischen Sammlungen sowie die Entwicklungszusammenarbeit genannt werden. Daneben gibt es viele andere Bereiche, in denen sich Ethnolog:innen bewähren. Das fachliche Profil hängt davon ab, an welcher Uni Studierende das Studium absolvieren. An einem Institut, an dem es eine ethnologische Sammlung gibt, werden sicher im Studium Seminare zur materiellen Kultur angeboten und auch Methoden der Museumsarbeit, Ausstellungskonzepte sowie ihre Umsetzung in Räumen besprochen.  

Es lohnt sich also in Hinblick auf die berufliche Zukunft zu überlegen, an welchem Institut ihr studiert, promoviert oder forscht. Ähnlich gilt es, sich für die eigene Berufsorientierung zu fragen, welche spezifischen Fähigkeiten Studierende an einem Institut erworben haben, wo diese Fähigkeiten beruflich gefragt sein könnten und welche Zusatzausbildungen nach dem Studium noch nötig sind. In welches Tätigkeitsfeld Ethnolog:innen  gehen, hängt darüber hinaus auch von den persönlichen Kompetenzen ab, also ob sie zum Beispiel in der Lage sind, später in einem sozialen Beruf zu arbeiten oder nicht. Systemisches Coaching oder Unternehmensberater:innen sind gute Beispiele für eine erfolgreiche ethnologische Berufspraxis. Wir haben festgestellt, dass beide Berufsgruppen durch Mitglieder im Verband vertreten sind. 

Es wird oft gesagt, Ethnolog:innen können aufgrund ihrer umfassenden Ausbildung überall arbeiten. Eine Untersuchung zum Verbleib wurde z. B. vom Freiburger Institut für Ethnologie durchgeführt und 2019 unter folgendem Link veröffentlicht: https://freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:149431/datastreams/FILE1/content

Was zeichnet Ethnolog:innen gegenüber anderen Sozialwissenschaftler:innen aus? 

Als Ethnolog:innen sind wir geschult darin, durch Feldforschung Mikroperspektiven zu beobachten und und das, was Individuen denken, wie sie handeln und wie sie dieses Handeln erklären/deuten, aufzunehmen. Wie sind die Mikroprozesse, die Rollenverständnisse, die Situationen in alltäglichen Lebenswelten? Das erscheint zunächst unspektakulär. Diese Alltagssituationen jedoch aufzunehmen und in globale Zusammenhänge zu setzten, sie als Teil gesellschaftlicher Systeme zu analysieren, zeichnet ethnologische Methoden und Analysen aus. Damit verbunden ist eine Selbstreflexion: aus welcher Perspektive schaue ich als Fragende:r oder Beobachtende:r. Diese Perspektive kann einen entscheidenden Einfluss auf mein Forschungsergebnis haben. Viele ethnologische Methoden haben jedoch auch Eingang in andere sozialwissenschaftliche Fächer gefunden, so dass sich diese in Aspekten überschneiden aber auch gegenseitig ergänzen können. 

Wie finden Ethnolog:innen eine gut bezahlte und vielleicht erfüllende Tätigkeit? 

Diese Frage stellen sich sicher nicht nur Ethnolog:innen; dabei hängt die Erfüllung in einer Tätigkeit auch von den eigenen Glücksvorstellungen und Erwartungen an das Leben ab. Um in der Arbeitspraxis zufrieden zu sein, sollten sich Berufseinsteiger:innen vorher einige Fragen stellen, um einen für sich passenden Arbeitsplatz zu finden. Wie gut kenne ich mich, was kann ich mir zumuten, was kann ich von mir erwarten, wie viel Stress halte ich aus? Antworten darauf, können schon während der Ausbildung z. B. in einem Praktikum gefunden werden. Praktika während des Studiums sind für Ethnolog:innen (und andere Studiengänge) sehr wichtig, da das Studium nicht für eine ethnologische Praxis bzw. einen späteren Beruf ausbildet. Ein Praktikum ist deswegen ein erster Schritt, um Erfahrungen für den späteren Arbeitsalltag zu sammeln. 

Eine umfassende Recherche auf dem Arbeitsmarkt erleichtert diejenigen Angebote herauszufiltern, die zum eigenen Lebenslauf passen. Dabei sollten Berufseinsteiger:innen wissen, in welchem der drei Sektoren: Staat (öffentlicher Auftrag), Wirtschaft (Profit) oder Zivilgesellschaft (Solidarität) man arbeiten will. Wird ein festes Angestelltenverhältnis, eine freiberufliche Tätigkeit oder eine befristete Projektstelle gesucht – im akademischen oder im außerakademischen Bereich? Mit diesen Fragen verbunden ist auch der Freiraum in der Berufspraxis, um für  die eigenen Werte und Überzeugungen, eintreten zu können. Je größer die Überschneidung zwischen dem Aufgabenbereich und den eigenen Werten besteht, desto größer wird auch die Zufriedenheit im Job sein. 

Um später eine gut bezahlte Tätigkeit zu finden, braucht es eine gute Ausbildung, eigene Kompetenzen und Interessen, ein gutes Netzwerk – und auch eine Portion Glück.  

Genau, Netzwerke. Und da bringt jede:r andere individuell-persönliche, aber auch fachliche Möglichkeiten mit, die darüber entscheiden, wie gut man sich vernetzen kann.  

Das sog. Networking, ist ein überall verbreitetes Schlagwort – ohne dass dabei erklärt wird, wie man das konkret macht. Studierende fragen mich oft: Wie mache ich denn das „Networking“? Dass kann ich glücklicherweise in wenigen Sätzen erklären. 1. Wenn man auf Tagungen geht: Immer Fragen stellen! Nach dem Vortrag zu der/dem Vortragenden gehen, sich vorstellen. Hilfreich ist es, eine Visitenkarte oder eine eigene Publikation dabeizuhaben und zu überreichen verbunden mit der Frage: „Darf ich Ihnen schreiben?“ 2. Anschließend wird der Kontakt in eine Kartei mit entsprechenden Notizen eingetragen. Wann habe ich mit der Person gesprochen? Worüber? Wann habe ich der Person geschrieben? Habe ich eine Antwort bekommen? 3. Und dann Kontakt halten, indem man auch mal Buchempfehlungen schickt oder die angefangene Diskussion weiterführt.  

Weiterhin muss gelernt werden, das aufgebaute individuelle Netzwerk zu nutzen – auch daran kann man scheitern, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Wen darf man wann zu den eigenen Problemen und Wünschen um Hilfe ansprechen – ohne zu stören?  

Ja, überhaupt über Geld zu sprechen… Das kann ja für manche auch eine Hürde sein. 

Ich kann diese Hürde gut nachvollziehen. Im Ethnologie-Studium lernen Studierende nicht, über Honorare und Einkommen zu sprechen. Was ist mein Wissen wert, wie viel kann ich dafür fordern und was ist angemessen dafür? In diesem Kontext kann der bfe auch unterstützen und beraten, sich nicht zu scheuen, Verhandlungen über das Einkommen/Honorare zu starten. Auch können Kolleg:innen im bfe, die in vergleichbaren Bereichen tätig sind, etwa über die Höhe von Honoraren Auskunft geben. Hierbei sollte das Netzwerk aktiv eingesetzt werden. 

Was ist denn der Vorteil einer Promotion auf dem Arbeitsmarkt außerhalb der Uni? 

Ein Doktortitel als Bestandteil des Namens gibt Auskunft darüber, dass die Träger:in wissenschaftlich geschult ist und eigene Forschungen erfolgreich durchgeführt hat. Vor diesem Hintergrund kann man auf einer höheren Gehaltsstufe einsteigen als ein/e Kandidat:in mit einem BA-Abschluss. Als BA bekommt man relativ schnell einen Job, aber das wars dann und die Aufstiegschancen, verbunden mit einem höheren Einkommen, sind bereits mit einem MA-Abschluss besser und noch vielversprechender mit einer Promotion.  

Gibt es auch Nachteile einer Promotion? 

Im Allgemeinen dauert das ganze Prozedere bis zur Promotion sehr lange. Studium + Feldforschung + Dissertation + Verteidigung. Man muss dies auch alles finanzieren können und so vom Thema überzeugt sein, dass man die vielen Tage und Monate am Schreibtisch durchhält, bis die Arbeit fertig ist. Und am Ende sind manche auch für einige Bereiche überqualifiziert. Nicht jede Berufspraxis erwartet ein hohes Maß an analytischen Fähigkeiten – es gibt Arbeitsbereiche, in denen solche Kompetenzen eher schnell als unbequem und unangepasst empfunden werden. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. 

Inwiefern findest Du, dass sich die Arbeitsmärkte für Ethnolog:innen in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren verändert haben? 

In den letzten Jahren ist sicher ein Bedarf an ethnologischer Kompetenz im interkulturellen Bereich z. B. in der Flüchtlingsarbeit entstanden. Und in der Provenienzforschung! 2017 ist die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus dem Expertenrat des Humboldtforums ausgestiegen, da sie die kontextualisierte Aufarbeitung der Sammlungen vermisste. Deshalb besteht ein enormer Bedarf an Fachleuten, die sich nicht nur mit materieller Kultur, sondern auch mit den Herkunftsregionen auskennen, aus denen die Objekte kommen – und die die Sprachen der Menschen aus Ländern sprechen, in denen in der Kolonialzeit gesammelt wurde. Was schwierig ist: viele Ausschreibungen gehen nur über ein halbes Jahr oder ein Jahr. Oft wird auch nicht „Ethnologie“ in der Projektausschreibung angegeben, sondern Kulturanthropologie. Seit etwa 2018 wurde das Fach Ethnologie an vielen Instituten neu benannt mit „Kultur- und Sozialanthropologie“ oder „Sozial- und Kulturanthropologie“ oder wurde mit anderen Fächern zusammengelegt und erscheint jetzt unter einem ganz anderen Namen. Da kann es eine Verwirrung geben, was die genaue Bezeichnung des Fachs und seine jeweiligen Schwerpunkte anbelangt. Deswegen ist notwendig, Stellenausschreibungen vor einer Bewerbung genau zu prüfen, welche Anforderungen zu den eigenen Kompetenzen und Vorstellungen/Werten passen. 

Vielen Dank für das offene Gespräch. 

Dr. Anette Rein, Ethnologin, Erwachsenbildnerin (Tätigkeiten an Universitäten und Museen bis Ende 2008; seit 2009 selbstständig als Fachjournalistin, Lehrbeauftragte, zert. Schreibcoach 

Gründungsmitglied des Verbands und seit 2012 1. Vorsitzende des bfe.  

Publikationen unter:  

http://www.bundesverband-ethnologie.de/webvisitenkarte/15 

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